Purification: Die vielleicht spannendste Doom-Metal-Band dieser Tage im Interview

© Purification

Es ist eine Geschichte, wie sie nur das Leben schreiben kann: Irgendwann letzten Sommer stolpere ich auf meiner Lieblingswebseite, bandcamp.com, über eine Doom-Metal-Band, deren Auftritt mich sofort anspricht. Das gilt für den Namen der Band genauso wie für die Cover ihrer Veröffentlichungen. Purification heißt die Band. Sofort denke ich an Reverend Bizarre, eine meiner absoluten Lieblingsbands, für die sich der englische Puritanismus und dessen Gallionsfigur, Oliver Cromwell, als überaus potente Spielwiese erwiesen hatte. Purification beackern das gleiche Feld. Ich kaufe mir ihre erste EP direkt, und das Debütalbum “Destruction of the Wicked” gleich mit — und bin restlos begeistert. 

Kurz nach meinem Glückskauf trudelt bei uns vom HELLFIRE-Webzine “Perfect Doctrine” ein, der zweite Longplayer der Band. Ein paar Monate später kontaktiert mich Bandchef Field Marshall William Purify und schickt mir das nächste Purification-Album zu, “Dwell in the House of the Lord Forever“. Wiederum bin ich begeistert. Er fragt mich: “Wie wäre es mit einem Interview?” Ich sage zu: “Am besten an einem Wochenende.” Er meint: “Wochenende ist gut. Ich stehe eh meist sehr früh auf (Anm.: Er wohnt in Portland, Oregon, an der US-Westküste), weil ich Fan des europäischen Fußballs bin und immer die Spiele meiner Lieblingsmannschaft schaue.” Ich frage nach, wer denn seine Lieblingsmannschaft sei. Er antwortet: “Ich bin Fan vom FC Liverpool.” Ich greife daraufhin zu meinem Handy und schicke ihm dieses Foto meiner Wohnzimmerwand.

Rechts im Bild: der Liverbird, Wappentier des Liverpool Football Club. © Mathias Keiber

Wir verabreden uns für Sonntag. Wir reden drei Stunden über Reverend Bizarre und den FC Liverpool und ich vergesse komplett, dabei das Interview zu führen. Also verabreden wir uns erneut. Nachfolgend meine Fragen und seine Antworten.

Auf eurer ersten Demo ist ein Zitat aus dem Film “Aguirre” von Werner Herzog mit Klaus Kinski in der Hauptrolle zu hören. Auch bei anderen Songs verwendet ihr Film-Zitate. Welche Rolle spielen Filme in deinem Songwriting?

An und für sich bin ich gar kein großer Filmfreak, ich bin besessen von Musik. Aber Musik spielt in vielen Filmen ja eine nicht ganz unwesentliche Rolle. Bleiben wir doch direkt beim Soundtrack von “Aguirre”. Was Popol Vuh (Anm.: deutsche Krautrock-Band, die von Herzog regelmäßig zur musikalischen Begleitung seiner Filme engagiert wurde) da gemacht haben, ist für mich ganz einfach die beste Filmmusik aller Zeiten. Da kommt nix anderes ran, gar nix. Am Anfang des Films siehst du die Konquistadoren, wie sie von den Anden herabsteigen, auf der Suche nach Eldorado. Dabei setzt die Musik von Popol Vuh ein. Du weißt sofort: Das wird kein gutes Ende nehmen. Es geht nicht nach Eldorado, es geht ins Verderben. Die musikalische Verkündung nahenden Unheils, ja, des nahenden Dooms. Der Soundtrack ist für mein musikalisches Schaffen ein ganz zentraler Einfluss. Man kann auch sagen, dass es meine Musik ohne diesen Soundtrack so nicht gäbe. Generell sollen die Filmsamples aber nur eine Szene setzen, gewissermaßen die Musik veranschaulichen. Ich sample nichts aus einem Film, weil mir ein Film gefällt. Es geht um den Kontext, die Szenerie. 

Doom Metal ist für mich ja oft auch eine Art Soundtrack — zu einem Film, der in meinem Kopf stattfindet. Ich würde deshalb sagen: Die Stilrichtung hat definitiv eine filmische Qualität. Stimmst du zu? Falls ja, nenn mir doch bitte ein Doom-Metal-Album, auf das das besonders zutrifft.

Zu aller erst: Ich glaube, unser neues Album wird dir diesbezüglich sehr gefallen. Verglichen mit allem, was wir bisher gemacht haben, ist das neue Album das, das produktionstechnisch am wenigsten limitiert ist. An keinem anderen haben wir so lange gearbeitet. Aber zu deiner Frage: Natürlich stimme ich dir da zu. Und das Album aus unserem Genre, auf das das für mich am meisten zutrifft, ist “Vast Oceans Lachrymose” von While Heaven Wept. Besonders zeigt sich das am letzten Track des Albums. Im Prinzip eine einzige Gitarren-Harmonie, die über sieben Minuten immer Höher steigt. Wahnsinn! Ein anderes Album, dessen filmische Qualitäten mir besonders in Erinnerung geblieben sind, ist “Strength to Dream” von Warning. 

Zwei großartige Werke! Doch lass uns wieder von euren Alben sprechen. Warum ist Pink die dominierende Farbe des Covers eures Full-Lenght-Debüts, “Destruction of the Wicked”? 

© Purifcation

Lass mich raten: Du denkst bestimmt, das sei eine Hommage an “Born Too Late” von Saint Vitus.

© Saint Vitus 

Richtig.

Nachvollziehbar, das meinen viele, ist aber nicht der Fall. Ich mag Saint Vitus, aber zu meinen absoluten Lieblingsbands gehören sie dann doch nicht ganz. Eine Hommage an eine andere Band läge also näher, wollte ich so etwas tun. Doch selbst wenn ich Saint Vitus mit einer Cover-Illustration Tribut hätte zollen wollen, dann hätte ich mich nicht für “Born Too Late” entscheiden, weil mir andere Alben der Band ganz einfach besser gefallen. Nun hatte ich mit dem Cover aber überhaupt keine Hommage an irgendeine meiner Lieblingsbands im Sinn, sondern eher das Gegenteil. Ich wollte mein Publikum provozieren. Also fragte ich mich: Welche Farbe hassen Metalheads am meisten? Mir kamen zwei Cover-Gestaltungen anderer Bands in den Sinn: Natürlich “Born too late” von Saint Vitus, weil es eben pink ist, und außerdem das Debüt-Album von Weezer, das die Band vor einem hellblauen Hintergrund zeigt. Dass die Saint-Vitus-Vergleiche bei einem pinken Cover kommen würden, war mir natürlich klar. Andererseits war mir hellblau einfach nicht aggressiv genug. Also dachte ich mir: „Fuck it, wir nehmen Pink.“

Ich meine: Damit eine Band richtig gut werden kann, muss sie Fan von sich selbst sein. Letztendlich kann man sein Publikum nur überzeugen, wenn man von sich selbst überzeugt ist. Diesbezüglich habe ich bei dir seit deinem Interview mit “Deaf Forever” (#40 02/2021) keinerlei Zweifel (Anm.: Mein Gesprächspartner wurde nach den besten Doom-Metal-Alben des Jahres 2020 gefragt – und nannte, durchaus augenzwinkernd, die zwei von seiner Band im letzten Jahr veröffentlichen Alben.) Nun weiß ich aber, dass du doch so deine Problemchen mit “Perfect Doctrine”, eurem zweiten Album, hast. Sag mir doch mal, der überhaupt kein Problem mit dem Album hat, warum das so ist?

Als Hörer kannst du ja unbedarft an die Aufnahme rangehen. Du hörst das Album quasi jungfräulich und kannst für dich entscheiden, ob es dir gefällt oder nicht. Ich kann es natürlich nur unter dem Gesichtspunkt hören, wie ich wollte, dass es klingt. Und so klingt es eben nicht. Das liegt hauptsächlich am Mix. Ziel war: “Perfect Doctrine” sollte so orthodox wie möglich klingen, so kaputt wie die frühen Demos von Pentagram aus den frühen Siebzigern. Das ist leider nicht ganz gelungen. Es klingt im Endeffekt ziemlich gesund. Auf “Dwell in the House of the Lord Forever” haben wir diesen Sound dann hinbekommen. Aber hinter den Songs von “Perfect Doctrine” stehe ich nach wie vor, und der Rest der Band liebt sie. Und wenn wir, sobald möglich, auf Tour gehen, dann wird ein besonderer Fokus auf den Songs von “Perfect Doctrine” liegen.

Wird eure Tour nach Europa führen?

Auf jeden Fall! Denn dort gehören wir ja auch hin. Unser natürliches Publikum ist in Europa. In den USA sind wir ziemlich isoliert, man hält uns mitunter für nicht unbedenklich, für gefährlich sogar. Für den durchschnittlichen Fan von Bands wie Mastodon oder Baroness sind wir durch unsere Gebärden disqualifiziert (Anm.: Beispiele: Auf ihrer Bandcamp-Seite bedankt sich die Band schon mal augenzwinkernd bei allen, “die Böses in der Welt tun”, oder bittet darum “religiösen Deppen kein Geld zu geben”). Für die sind wir Satanisten, Faschisten, gefährliche Leute. Wir sind eine problematische Band in unserem Heimatland. Was soll man dazu sagen? Wir befinden uns in den USA in einem post-ironischen Zeitalter. Unser Fankreis hier beschränkt sich auf Kids, die mit Lederjacken und Nieten durch die Gegend rennen. Die meisten Reviews, die wir bekommen, sind in einer Sprache verfasst, die ich nicht verstehe. Aber gerade das hat etwas sehr schönes: Wir sprechen zwar nicht die gleiche Sprache, aber über die Musik entsteht eine emotionale Verbindung.

Lass uns zum Schluss von jemandem sprechen, dessen Musik auch nicht jeder versteht. Beim intensiven Studium deiner Thanks-To-Listen auf Bandcamp bin ich auf einen Mann gestoßen, den du in einer Reihe von Philosophen nennst. Die Rede ist von Dylan Carson, Chef der Drone-Metal-Pioniere Earth. Ist der Mann denn auch ein Philosoph?

Die Frage gefällt mir! Natürlich ist er kein ordinierter Philosoph. Aber ein Philosoph der Musik ist er auf jeden Fall. Auch wenn ich ihn nicht persönlich kenne, ich fühle definitiv eine sehr enge spirituelle Nähe zu Dylan. Und (er lacht) nicht nur spirituell, sondern gewissermaßen auch physisch: Schau her, das Album, das mir – jetzt in dem Moment, in dem ich mit Dir spreche – physisch am nächsten ist, ist das erste Album von Earth, das ich hier auf CD habe (er hält das Album in die Kamera). Ich habe Dylan auf unserer Bandcamp-Seite als Doktor bezeichnet wegen der Wirkung, die seine Musik auf mich hat. Alles Gute, was in Musik sein kann, ist in der Musik von Earth. Zum Beispiel: Der Wille weiterzugehen, wo andere stehenbleiben. Schau dir den Beginn ihrer Karriere an. Wer wusste 1993, was Drone Metal ist? Es gab nichts dergleichen! Dylan hat eigenhändig ein ganzes Genre erschaffen. Meiner Meinung nach ist er das herausragende Heavy-Metal-Genie der USA. Unter den noch Lebenden gibt es jedenfalls keinen, der so kreativ, interessant und vital ist wie Dylan. 

Wenn das mal kein ordentliches Schlusswort von unserem Field Marshal ist. Das neue Album von Purification, “The Exterminating Angel”, erscheint am 29. Juni und ist nach “Perfect Doctrine” und “Dwell in the House of the Lord Forever” das dritte der Band innerhalb von gerade einmal 12 Monaten. Wird es wieder klingen wie kein anderer seiner Vorgänger? Was Purification so einzigartig macht: Sie entwickeln sich in Monaten schneller als andere Bands in Jahren. Und das macht sie für mich zur spannendsten Doom-Metal-Band dieser Tage. 

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Ein Kommentar

  1. Marius Göddert

    Super interessantes Interview.

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