Mortajas im Interview: “Ich spielte ein paar unsinnige Riffs – und Marcos sah das als Herausforderung”

© Mortajas

Mortajas sind eine der spannendsten Bands, die das Genre Doom Metal in den letzten fünf Jahren hervorgebracht hat: spanischer Gesang gepaart mit klassischem Doom, mal angereichert mit psychedelischen Chören, mal mit chilenischer Folklore. Unser Matze ist hin und weg. Und hat deshalb mit Bassist Daniel Pérez Saa und Gitarrist Sergio Álvarez, der seit 2021 das Lineup der Band komplettiert, gesprochen. 

Hellfire: Ihr seid aus Chile, ich war noch nie dort. Aber wenn ich an Chile denke, kommen mir zwei wunderbare Dinge in den Sinn: Mein Lieblingssteakhaus in meiner Heimatstadt Mainz, was hier keine Rolle spielen soll, und eine große Anzahl von Metalbands, von denen einige auch in die Kategorie Doom Metal fallen. Wie sieht die Szene in Eurem Land aus?

Sergio: Schön, von Deinem Lieblings-Steakhaus zu hören! Hier in Chile gibt’s wirklich sehr viel leckeres lokales Essen, und natürlich sind Hausgrillpartys mit Freunden und Bier quasi ein Grundnahrungsmittel für uns. Die Szene in Chile ist für Mainstream-Bands sehr, sehr groß, aber für Underground-Bands wie uns ist es nicht dasselbe, speziell im Doom Metal. Es sind immer dieselben Leute bei den Gigs, aber glücklicherweise ist es eine sehr loyale Szene, wenn es darum geht, lokale Bands zu unterstützen. Wir haben hier eine Menge großartiger Death Metal-, Black Metal- und Thrash Metal-Bands und auch viele junge Leute, die neue Bands gründen, also denke ich, dass wir in Chile eine sehr gute Szene haben, tolle Bands und ein Publikum, das uns meistens unterstützt.

HF: Das erste, was mich zu einer Band hinzieht, ist normalerweise das Cover eines Albums. So war es auch bei eurem Debütalbum. Was ich am zweiten Album sofort mochte, war, dass das Cover offensichtlich vom selben Künstler oder derselben Künstlerin stammt. Wer macht Eure Covers und was sollen sie vermitteln? 

Das Cover von “Mortajas I” (© Mortjajas)

Daniel: Wir sind sehr zufrieden mit den Covers, denn sie erfüllen zwei Bedingungen: Erstens vermitteln sie ziemlich gut, was passiert, wenn man die Musik hört. Zweitens ist es wichtig, dass es sich um Gemälde handelt, in denen alles komplett echt – sprich: handgemacht – ist. Bei uns gibt es keine digitalen Retuschen, alles ist authentisch und einzigartig. Andrea, meine Frau, malt die Cover. Sie erlebt den Entstehungsprozess mit uns, also kennt sie die Songs von ihren Anfängen bis zum Endprodukt. Wir können ihr ein paar Ideen geben, aber sie hat jede Menge kreativer Freiheit, und natürlich ist sie zum Schlüsselpersonal im Entstehungsprozess unserer Alben geworden.

Das Cover von “Mortajas II” (© Mortajas)

Sergio: Was ich an den Covern interessant finde, ist, dass man sie entweder lieben oder hassen kann, aber sie können einem in keiner Weise gleichgültig sein.

HF: Eure beiden Alben setzten sich jeweils aus fünf ausnahmslos starken Songs zusammen. Aber auf beiden Alben gibt es meiner Meinung nach jeweils einen Song, der noch stärker ist als der Rest. Auf dem ersten Album ist das der Song “Harapos”. Diese ätherischen “uh-uh-uh”-Chöre, die nach etwa sieben Minuten einsetzen, geben mir das Gefühl, auf einem anderen Planeten zu sein. Und wenn dann kurz vor der 9-Minuten-Marke der Leadgesang einsetzt, schießen mir jedes Mal die Tränen in die Augen. Wie schreibt man so etwas?

Daniel: Danke für Deine Worte! Wir haben einen kreativen Fluss, der für uns bisher ganz gut funktioniert hat. Die ersten Riffs mache ich zusammen mit Marcos (Contreras, Gesang und Gitarre). Er ist sozusagen unser Chefdirigent. Er kreiert auch die Gesangslinien, die Texte schreiben wir zusammen. Wenn wir fertig sind, stellen wir den Demo-Song unseren Bandkollegen vor. Die Arrangements sind dann kollektive Arbeit im Proberaum. Aber man muss schon sagen, dass es Marcos ist, der Mortajas seinen ganz eigenen Stempel aufdrückt. 

Sergio:  Glücklicherweise konnte ich bei unserem zweiten Album an der Seite von Marcos an allen Arrangements mitarbeiten. Auch in puncto Aufnahme, Abmischen und Mastering hatte jeder von uns spezifische Aufgaben. 

HF: Der überragende Song auf Eurem zweiten Album ist für mich “Bajo un Nuevo Sol”. Ehrlich gesagt: Das dürfte einer der besten Songs sein, die ich seit Jahren gehört habe! Lasst mich versuchen, es so zu erklären: Während ich bei “Harapos” das Gefühl habe, auf einem anderen Planeten zu sein, fühle ich mich bei “Bajo un Nuevo Sol”, befeuert von diesen spanischen (?) Gitarren, maximal am Leben. Was Musik im besten Fall mit mir anstellen kann, das passiert in diesem Song. Bitte lasst uns wissen, wie der Song entstanden ist!

Sergio: Ich spielte Marcos ein paar unsinnige Riffs vor, und ich glaube, er sah das als Herausforderung an (lacht). Als der Demo-Song Gestalt annahm, sprachen wir darüber, folkloristische Instrumente einzubauen. Marcos ist ein sehr enger Freund von Carlos Cabezas von Los Jaivas, der kultigsten Folklore-Rock-Band Chiles, vielleicht sogar ganz Lateinamerikas. Carlos bot uns an, bei den Arrangements mitzuwirken, indem er einige Instrumente aus den Anden spielte, zum Beispiel Charango, Quena, Trutruca und Trompe. Außerdem spielte Marcos früher selbst in Folklorebands, er hatte also das nötige Knowhow. Ich finde, die Zwei haben den Folklore-Teil, der offensichtlich das Highlight des Songs ist, sehr gut hinbekommen. Übrigens ist das, was Du spanische Gitarre nennst, ein Saiteninstrument namens Charango.

HF: Eine gewöhnliche Situation aus meinem Leben: Meine Frau und ich fahren irgendwo hin, ich sitze am Steuer, mache Musik an. Meine Frau, eine Cellistin aus einer Familie, die Musik sehr ernst nimmt, sagt mir sofort, ich solle etwas anderes auflegen, wenn der Sänger der Band, die ich spiele, nicht richtig singt. Einmal habe ich Mortajas aufgelegt, und sie sagte: “Das ist ein guter Sänger!” Ist das professionelles Training oder natürliches Talent? 

Daniel: Alle Melodien für die Vocals werden von Marcos kreiert, arrangiert und aufgenommen. Er ist ein außergewöhnlicher Musiker, ohne professionelle Ausbildung, aber mit einer enormen Hingabe. Er hat umfangreiche Erfahrung in verschiedenen Musikstilen, nicht nur im Doom Metal, sondern auch in der Volksmusik unseres Landes, was ihm eine andere Kante in seiner Art zu singen und Musik zu kreieren gibt. In der Tat kann man es in “Bajo un Nuevo Sol” bemerken, seine Einflüsse sind dort sehr deutlich.

HF: Zusammen mit Eurem neuen Album habt Ihr einen Remix Eures ersten Albums veröffentlicht. Wart ihr mit dem Klang des Debüts nicht zufrieden? Was ist der Grund für den Remix?

Sergio: Ich denke, der Sound des Debüts war in Ordnung, als es veröffentlicht wurde. Weil es größtenteils ein hausgemachtes Werk ohne große Ambitionen war, geschrieben und aufgenommen in Zeiten der Pandemie, Du weißt schon. Bei unserem zweiten Album bekamen wir ein riesiges Sound-Upgrade. Und dann hatten wir eben die Gelegenheit, unserem ersten Album ein solches Upgrade zu kredenzen. Wir hatten ja noch alle Session-Files, alle Tracks. Und unser neues Label bot uns an, das erste Album noch einmal neu zu veröffentlichen. Also beschlossen wir, “Mortajas I” zu diesem Anlass zu remastern und remixen.

HF: Musik genießt man am besten live. In diesem Sinn: Gibt es Pläne für eine Tour  durch Deutschland?

Daniel: Wir waren vor kurzem in Europa auf Tour, aber in Deutschland haben wir nur in Göppingen gespielt. Natürlich würden wir gerne in mehr deutschen Städten auftreten. Für uns ist es eine Herausforderung, die Musik, die wir machen, an so viele Orte wie möglich zu bringen, und zwar immer mit der gleichen Energie. Wir sprechen bereits darüber, also werden wir in ein paar Jahren mit einem neuen Album und mit mehr geplanten Auftritten nach Europa zurückkommen.

Sergio: Danke und DOOM ON!

Interview: Mathias Keiber

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