Temple Fang – Lifted from the Wind

© Temple Fang

Geschrieben von Mathias Keiber
Band: Temple Fang
Album: Lifted From the Wind
Genre: Psychedelic Rock
Plattenfirma: Stickman Records
Veröffentlichung: 25.04.2025

Was mich als Jugendlicher in den Neunziger Jahren im Plattenladen immer fasziniert hat: Rückseiten von Plattencovern mit Spielzeitangaben. Große Augen bekam ich immer dann, wenn dort stand, dass ein Song länger als zehn Minuten dauert. Ich fragte mich: Was passiert wohl alles in diesen vielen Minuten? Ich war fasziniert davon. Oft, nicht immer, stellte sich heraus: Es handelte sich um Jams. Gegen Jams habe ich heutzutage nichts mehr einzuwenden. Das Verlangen nach langen Songs aber, die in erster Linie Song sind – und nicht Jam oder Prog, der nur seiner selbst wegen existiert –  ist geblieben. Es gibt solche Songs. Aber sie sind die Ausnahme. Dreißig Jahre später stoße ich auf das zweite Album von Temple Fang, die mir bisher nur namentlich bekannt sind. Darauf sind fünf Songs. Die Gesamtspielzeit beträgt 75 Minuten. „Die werden ziemlich viel jammen“, denke ich mir. Doch ich irre. Und ich kann mein Glück kaum fassen.

„Lifted from the Wind“ startet mit dem knapp 20-minütigen „The River“. Es beginnt mit bedächtigen Beckenschlägen. Es baut sich langsam auf, immer höher. Es hat Gesänge, teils mehrstimmige, zum Niederknien. Aber es hat aber noch nicht mal ein Gitarrensolo. Stattdessen hat es eine Band, die als Einheit spielt – und nur als Einheit. Zu keinem Zeitpunkt steht hier irgendwer im Vordergrund. Fast 20 Minuten geht es hier nur um eines: den Song, den Song und nochmals den Song! Und bei der Textzeile „Like fatherless Children now we roam the land“, wir sind zu diesem Zeitpunkt 17 Minuten tief im Song, läuft es mir einfach nur noch kalt den Rücken runter. Ich frage mich: Warum bringt man ein solch monumentales Stück nicht als finalen Song? Die Antwort ist einfach: Man hat noch unglaublich viel mehr in petto. Und das haben Temple Fang.

„Once“ ist ein bedrohlicher, tief psychedelischer Blues, der sogar ein Gitarrensolo hat, wobei es genau genommen zwei Gitarrensoli sind, die parallel ablaufen, bevor der Song in einer Erlösung sondergleichen gipfelt: „Once you feel this way, then you’ll surrender!“ Ich zittere! Und, ja, eigentlich könnte man an dieser Stelle aufgeben – und mit dem Album rundum zufrieden sein. Die 40-Minuten-Marke ist ja auch bereits erreicht. Aber dann würde man die zweite Hälfte verpassen. Und diese ist – ich wage es zu sagen – mindestens genauso gut wie die erste. Sie ist aber vielleicht noch eingänglicher, weil flotter und geringfügig kürzer: Statt zwei zwanzigminütigen Stücken folgen drei Songs, die sich 35 Minuten teilen. Und bei allen dreien handelt es sich um Meisterwerke en miniature.

Wenn „Harvest Angel“ zu einem seiner mehreren Höhepunkte kommt – die Textzeilen „Open your mouth to the season!“ und „Now follow the rainbow!“ markieren welche – zerreißt es mein Herz so sehr, dass mir die Tränen in die Augen schießen. „The Radiant“, mit siebeneinhalb Minuten das kürzeste Stück des Albums, ist eine treibende, nervöse Nummer, bei der ich mir als Hörer vorkomme, als würde ich bei Nacht durch einen dunklen Wald um mein Leben rennen – Prädikat: unglaublich! Und dann kommt „Josephine“ – und sie macht mir in 15 Minuten klar, warum sie diesen Reigen von geradezu himmlischen Songs beschließt.

Fazit: Rund 400 Alben habe ich bislang rezensiert – und „Lifted from the Wind“ ist zweifellos das beste davon. Temple Fang machen Musik, wie ich sie mir immer gewünscht habe. Ich würde gerne elf Punkte geben. Aber ich darf es nicht. Von daher: 10 von 10 Hellfire-Punkten.

Tracklist:
01 The River 18:23
02 Once 21:10
03 Harvest Angel 12:33
04 The Radiant 07:25
05 Josephine 14:59

Weitere Infos:
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