Interview Pyracanda: Nach 32 Jahren wie Phönix aus der Asche

Manche Bands aus den Achtziger und Neunzigern, die sich in dieser Zeit aufgelöst haben, hat man gar nicht auf dem Schirm. Pyracanda dagegen machten 2019 mächtig Action, als sie sich aus der Versenkung wieder zurückmeldeten. Auf einige vielumjubelte Konzerte folgt nun Album Nummer drei, “Losing Faith”. Dazu musste nun Pyracanda Basser Dieter Wittbecker ran und unsere Fragen beantworten.

 

HF: Als Ihr Ende der Achtziger / Anfang der Neunziger Eure beiden Alben „Two Sides Of A Coin“ und „Thorns“ veröffentlicht habt, waren die meisten Leute, die Eurer und unserer Zielgruppe angehören, noch gar nicht geboren und noch Fettaugen auf der Fleischsuppe.
Also fangen wir mal bei Adam und Eva an: Gebt mal einen kurzen Überblick über Eure Anfangsjahre.

DW: Erstes Gefühl ist „Rauchig, staubig und zum Glück sehr laut“. Ich kam ja ein paar Monate später dazu, nachdem ich wagemutig, für ein Konzert ohne viel zu proben mit Pyracanda als Ersatz-Bassist auf die Bühne ging. Als Rolf, der alte Basser dann kündigte, war ich verhaftet. Zum Glück. Aber von vorn. Pyracanda probte in dem Raum neben meiner damaligen Band in einem umgebauten Luftschutzbunker in Koblenz. Das waren diese lauten, frechen und sehr sehr lustigen Raucher von nebenan. Mich nannten sie immer nur „der Nichtraucher.“ Dann irgendwann nach diesem ersten Konzert haben sie sich dann doch meinen Namen gemerkt.

Es war eine verrückte Zeit. Das Demo war im Studio eines gemeinsamen Bekannten (lacht) bereits aufgenommen und es dauerte nicht lange, bis wir damit einen Plattenvertrag bekamen. Sammler kloppen sich mittlerweile um dieses Demo auf Kassette. Krasses Teil.
Ja, diese Plattenfirma war das damalige No Remorse Records von Charlie Rinne, der unter anderem auch Blind Guardian und Grinder unter Vertrag hatte. Das Album wurde „Two sides of a Coin“ getauft und ging zur damaligen Zeit richtig gut ab.

 

HF: Ihr habt damals einen Deal mit „Blausiegel“ an Land gezogen, was zu dieser Zeit alles andere als üblich war. Wie seid Ihr darangekommen und über welchen Support konntet Ihr Euch damals von Blausiegel freuen?

DW: Auf der „Two sides of a Coin“gibt es den Titel „Don’t get infected“. Den spielen wir heute noch. AIDS war damals ein großes und wichtiges Thema. Ich glaube es war Elmar oder Sven, der plötzlich sagte „Blausiegel möchte uns mit Kondomen endorsen.“ Alles klar. Das Logo kam auf die Platte und wir bekamen Kondome geliefert. Alles andere mussten wir dann doch noch selbst machen. Immer diese halben Sachen. Blausiegel hat die Pyracanda-Scheibe sogar in der Firma aufgehangen (lacht schon wieder).

 

HF: Euer Debüt kam damals bei Charlie Rinne und seinem Label „No Remorse Records“ raus. Charlie hatte im Allgemeinen ein gutes Gespür für geile Bands. Das hat sich aber mit dem Debüt dann auch schon erledigt und Thorns kam bei Aaarrg Records raus. Wie konntet Ihr mit den beiden Labels arbeiten und warum der Wechsel?

DW: Charlie hat No Remorse Records damals dicht gemacht. Wir standen ohne Plattenfirma da und waren doch bereits an den Titeln für das zweite Album am Arbeiten. Dann trafen wir auf Ralf Hubert von Aaarrg Records und machten das Album „Thorns“ mit ihm. Charlie war ein Geschäftsmann mit einem guten Musikgeschmack und Ralf war Musiker und der Bassmann bei Mekong Delta. Am Ende war es ein riesiger Unterschied in der Art, wie die beiden Platten entstanden. Jede hat seine eigene Note und das ist auch gut so.

 

HF: Bis 2019 war dann Ende im Gelände, bis Ihr mit zwei neuen Leuten an Bord wieder angefangen und Pyracanda wiederbelebt habt. Was hat an einer Reunion mit dem ursprünglichen Line Up nicht geklappt und wie seid Ihr an Patrick, Denis und Frank gekommen?

DW: Patrick ist ein Pyracanda-Urgestein. Viele werden ihn auch als Schlagzeuger von Caliban kennen. Patrick kam, als Elmar damals ging, im Alter von 17 Jahren in die Band. Ich erinnere mich noch an sein Casting. Ein unglaublicher Musiker. Er hat mit 17 alle anderen so dermaßen an die Wand gespielt, dass ich Gänsehaut bekam. Mit Patrick haben wir viele Jahre gemeinsam Musik gemacht und Patrick hatte die initiale Idee zur Pyracanda Reunion. Da Sven, der damals zu Rage gegangen ist, wirklich keine Zeit hatte, hat Patrick seinen Caliban-Kollegen Denis gefragt, ob er nicht Bock auf Pyracanda hat. Und das hatte er. Denis ist ein toller Mensch und ein sehr guter Gitarrist. Wir haben mit Denis ein paar echt gute Konzerte gespielt. Leider wohnt er sehr weit weg und konnte immer nur einen Tag vor der Show zum Proben kommen. Das ist für eine richtige Band anstrengend. Irgendwann kam dann deshalb Dennis (mit zwei „n“) mit Frank um die Ecke. Frank hat sofort gepasst. Er hat den gleichen doofen Humor wie wir und ist ein echt guter Musiker. Geiler Typ.

 

HF: Ihr habt auch während der Pandemie Restriktionen „relativ“ regelmäßig live auftreten können. Waren die Konzerte für Euch erst einmal ein Test, was noch geht und was nicht, um schlussendlich ein neues Album aufzunehmen oder war das bereits 2019 beschlossenen Sache?

DW: Die Corona-Zeit wäre eigentlich eine schlechte Test-Plattform gewesen. Da ging ja nicht viel. Kurz nach unserer Reunion Show, die überraschenderweise lecker ausverkauft war, kam der erste Lockdown. Ich habe von vielen Fans gehört, dass dieses Konzert Ihr letztes Konzert vor Corona war. Wir haben zwar dann ein paar Konzerte vor 500 Leuten gespielt – das war ja irgendwann erlaubt – aber schade war es trotzdem. Da war natürlich von Anfang an mehr geplant. Das mit der neuen Scheibe hat sich dann so ergeben. Song-Ideen, ein bisschen rumprobiert, … bis wir mitten im Songwriting für ein neues Album waren.

HF: Mit „Losing Faith“ erscheint nun im Oktober nach 32 Jahren Euer drittes Album. Habt Ihr bei dem Songmaterial auf alte Song(fragmente) zurückgegriffen oder sind alle Titel komplett neu?

DW: Auch. Wir hatten noch ein paar unveröffentlichte klasse Sachen von früher im Kasten und haben diese zum Teil verwendet. Aber auch einen alten Demo-Titel haben wir uns vorgeknöpft. Wir haben – manche werden den Titel kennen – unseren alten Ilex Demo-Titel „The Godfather“ komplett neue aufgelegt und diesen „We are more“ genannt. Die meisten Dinge auf der Scheibe sind jedoch neu komponiert. Wir haben uns ja immerhin über ein Jahr ins Pyracanda-Labor eingeschlossen.

 

HF: Ich muss gestehen, dass ich ziemlich nervös war, als ich mir das Album das erste Mal angehört habe. Gehofft hatte ich auf ein Album, was mich sofort umhaut. Befürchtet habe ich aber auch, dass „Losing Faith“ vielleicht doch eher eine halbgare Geschichte geworden ist. Der Opener „Don’t Wait For“ hat mich dann Gott sei Dank sofort gepackt, so dass ich entspannt an das erste Durchhören gehen konnte. Auf mich wirkt das Album extrem schlüssig. „Thorns“ war mir seinerzeit etwas zu kantig, während mir „Two Sides Of A Coin“ deutlich besser zugesagt hat. Mit „Losing Faith“ habt Ihr sowohl Eingängigkeit als auch „kantige“ Elemente perfekt miteinander verbunden. Habt Ihr beim Komponieren Rückwirkend Eure Erfahrungen aus der Anfangszeit mit einfließen lassen oder einfach mal frei Schnauze loskomponiert?

DW: Ich glaube, dass man im Leben immer seinen Erfahrungen arbeitet. Bewusst oder unbewusst. Wir haben loskomponiert und arrangiert, verworfen und doch wieder rausgekramt und alles, was so dazu gehört. Wir haben für diese Phase von Anfang an unseren Freund und ehemaligen Drummer Elmar hinzugenommen. Elmar ist ein Komponier- und Arrangier-Genie. Er behält den Überblick, wo andere vielleicht stundenlang in Getüftel abtauchen. Ein wahninnig guter Musiker.

 

HF: Aufgenommen habt Ihr im Studio von René Anlauff (Heldmaschine). Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit und wie lief der Aufnahmeprozess ab? Ihr habt Euch für eine Zusammenarbeit mit FHM Records entschieden. Gab es noch andere Angebote und wenn ja, warum fiel Eure Wahl auf FHM?

DW: Mit diesem Album verbinden wir ein gutes Gefühl. Ein besonderes Gefühl. Denn dieses Album entstand vom Komponieren, über die Studio Arbeit und den Videodreh, das Merchandise bis zur Plattenfirma nur mit Freunden. Mit René Anlauff haben wir damals lange gemeinsam Musik gemacht. René macht eigentlich nur seine beiden Bands. Irgendwann rief ich ihn an – er war gerade mit Heldmaschine im Nightliner – und sagte zu ihm: „René, hier ist der Wittbecker. Wir machen ein neues Album mit Pyracanda und möchten das bei und mit dir aufnehmen.“ Darauf sagte René: „Wittbecker, du weißt, dass ich nur meine eigenen Bands mache. Aber Pyracanda mache ich auf jeden Fall!“ René war die goldrichtige Wahl. Hört euch das Album an und ihr hört, was ich meine. Ähnlich war es mit Frank Hirnschal von FHM Records. Wir haben mit Frank ja ein paar Re-Releases unserer alten Scheiben gemacht. Frank macht generell nur Bands, von denen er auch Fan ist. Und Frank ist ein Pyracanda-Fan der ersten Stunde. Irgendwann saßen wir zusammen und er sagte mir, dass er jetzt auch neue Releases macht. Da sagte ich: Ok, wenn das so ist, und das funktioniert, geil. Und es funktioniert. Am 10. Oktober veröffentlicht FHM Records das neue Album „Jeopardy Room“ von Nasty Savage und das neue Album „Losing Faith“ von Pyracanda.

 

HF: Natürlich stellt sich nach Veröffentlichung des neuen Albums die Frage nach Live Auftritten. Da Ihr selbst während Corona recht häufig gespielt habt, mache ich mir eigentlich keine Sorgen um Eure zukünftige Live Präsens, obwohl es inzwischen für Bands nicht gerade einfach geworden ist zu touren. Was würdet Ihr Euch wünschen, was plant Ihr konkret und was ist relativ realistisch?

DW: Klar spielen wir live. Das ist ja das was geil ist! Und die Leute fragen danach. Ständig. Wir bevorzugen es, auf Festivals zu spielen. Wenn Du ein Festival-Macher bist, melde dich. Wir freuen uns sehr.

 

Interview: Jörg Schnebele

 

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